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Dicker als Wasser

07.10.2018

Ein Bruder ist wie ein Stück Kindheit, das man behalten darf. Doch dazu muss man natürlich erst mal die Kindheit mit zwei größeren Brüdern durchstehen. Das hieß in meinem Fall immer auf der Hut sein. Denn ältere Brüder sind erfindungsreich wenn es darum geht, dem „Kleinen“ einen Streich zu spielen.

Zum Glück waren die beiden wegen des Altersunterschiedes zu mir von sechs und vier Jahren meistens mit sich selber beschäftigt, immer wieder gerne auch mit derben Raufereien. Ich war da eher der Lover, nicht der Fighter. Was sollte ich mir auch blaue Flecken abholen? Denn ich war sehr schmächtig, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Das war mit 14, 15 Jahren anscheinend so besorgniserregend, dass meine Mutter mit mir zum Arzt gegangen ist. Sie sind dann zum Entschluss gekommen, meinen nicht vorhandenen Hunger mit Medikamenten zu überlisten. Dieser Appetitsaft, den ich nun verordnet bekam, hieß Nuran. Schmeckte scheußlich und machte hungrig und müde. Ausgiebiger Schlaf nach dem Mittagessen musste jetzt als Nebenwirkung mütterlicherseits toleriert werden.

Ich habe mir den Wirkstoff Cyproheptadin jetzt mal näher angeschaut. Vielleicht hätte ich es besser nicht gemacht, denn:

„Häufig wird Kindern, die „unter Appetitlosigkeit leiden“ Cyproheptadin verschrieben. Die Wirkung tritt nach Einnahme zwischen 15 und 30 Minuten auf und erreicht nach einer Stunde ihr Wirkungsmaximum. Die Gesamtwirkung hält 4 – 6 Stunden an. Nebenwirkungen:Schläfrigkeit bzw. Benommenheit, Koordinationsstörungen, Unruhe, Reizbarkeit, Sehstörungen, Schwindel, Ohrengeräusch, Magen-Darm-Störung, Gesichtsrötung, Harnretention, Muskelzuckungen, Herzrythmusstörungen, Krämpfe, Schock, Atemdepression.“

Ich habe es immerhin gut überstanden, bin allerdings fest davon überzeugt, dass die Angabe der Wirkungsdauer gänzlich falsch ist. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Medizin –vergleichbar dem Phänomen bei Obelix, der als kleines Kind in Kessel mit Zaubertrank gefallen ist- bis heute in meinem Stoffwechsel nachhallt. Als die Gewichtszunahme zu einem völlig unerwünschten Zeitpunkt meines Lebens einsetzte, dämmerte es mir langsam, dass dieser Saft sich in den Körperzellen etabliert und Esslust und mittägliche Müdigkeit zum ständigen Begleiter werden ließ. Wenn Ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt, können wir uns ja im ersten Schritt zu einer Whatsapp-Gruppe „Obelix“ und in einem zweiten Schritte zu einer Selbsthilfegruppe „Nuran im Alter“ mit regelmäßigen Treffen zum Mittag- und Abendessen zusammenschließen. Würde mich freuen.

Was mich gar nicht freute waren erste Erfahrungen mit einem elektrischen Weidezaun. Für Städter: Ein Weidezaun ist ein Zaun, der Tiere daran hindert, die Weide selbstständig zu verlassen. Dies funktioniert mit einem kurzen Stromschlag.

Dieser ist natürlich nicht lebensgefährlich, aber so ganz ohne ist es für kleine Kinder bestimmt auch nicht. Klären wir doch erst mal, warum und wann genau ich einen gewischt kriege. Denn der Stromkreis eines Weidezauns ist offen. Hier wird ein elektrischer Impuls ausgesendet, der den Zaun entlang fließt.

Findet der Strom ein leitendes Medium zur Erde runter – eine Kuh oder mich – schließt sich der Stromkreis. Der Strom fließt auf schnellstem Weg durch den Körper zur Erde und zurück zur Erdung. Damit es ungefährlich bleibt, begrenzen Weidezäune die Stromstärke auf zehn Milli-Ampère. Fließt der Strom durch die Kuh oder durch mich durch, ziehen sich die Muskeln kurz zusammen. Aber im Nu ist der Stromimpuls wieder weg und die Muskeln entspannen sich wieder.

Der kurze elektrische Schlag, den die Tiere bei einer Berührung mit dem Weidezaun verspüren, führt zu keinerlei Verletzungen und ist tierschutzrechtlich vollkommen unbedenklich. Soweit die Theorie.

Die große Weide um das Forsthaus wurde vom benachbarten Bauern und seinen Rindviechern genutzt, die durch einen Elektrozaun daran gehindert wurden, ihr Terrain zu verlassen. Dieser Zaun stand mir jedenfalls im Sommerhalbjahr bei meinen Ausflügen ständig im Wege, zumal ich bis heute einen Höllenrespekt vor diesen Teilen habe. Mein Klassenkamerad vom Bauernhof konnte das nie nachvollziehen. Er prüfte die Funktionsfähigkeit des Zaunes, indem er den Stromdraht fest in die Hand nahm. ANGEBLICH ist das der Trick. Angeblich. Aber das war auch der Junge, der lieber zum Zahnarzt als zum Frisör ging. Vielleicht gehört er zu den wenigen Menschen auf der Welt, die wegen einer Genmutation keinen Schmerz empfinden. Vermutlich eher nicht.

Jedenfalls geht die Zaunprüfung wesentlich risikoärmer mit einem Grashalm, den man auf den Zaun legt und der den Impuls ganz schwach auf die Finger überträgt. Diese Technik hatte ich mir dann auch angeeignet und sie funktionierte ganz gut. Das rief meine Brüder auf den Plan, die mir im Brustton der Überzeugung erklärten, viieeeel besser als ein Grashalm sei doch wohl ein mit dem Fingernagel aufgeschlitzter Löwenzahnstengel, da der weiße Saft bekannt dafür sei, den Strom nicht zu leiten. Das habe ich so lange geglaubt, bis ich es ausprobiert habe, also etwa 3 Minuten. Dann saßen wir alle drei mit dem Hintern mit Gras. Ich, weil ich so eine gefegt bekommen hatte. Und meine Brüder vor Lachen.

Für den Zaun war ich natürlich auch deshalb besonders anfällig, da ich in der warmen Jahreszeit tagein tagaus mit einer kurzen Lederhose herumstrolchte. Also immer gut geerdet.

Mein Bruder Gerd war der Zaunkönig. Er rammte zur perfekten Erdung eine angespitzte Eisenstange, bei uns Stickel genannt, neben den Weidezaun. Für 50 Pfennige packte er mit der einen Hand den Weidezaun, mit der anderen Hand den Stickel. Unfassbar, aber er machte das ohne eine Miene zu verziehen. Ich bin mir sicher, er führte gar nichts Böses im Schilde und wollte mir lediglich ein wenig die Angst vor dem blöden Zaun nehmen als er vorschlug, seine rechte Hand an den Zaun zu legen und mit seiner linken meine Hand zu halten. Ich willigte ein, denn es schien mir logisch, dass der Schlag nicht stärker spürbar sein sollte, als bei der Grashalmtechnik. So war das tatsächlich auch. Leicht pulsierten die Stromschläge durch meine Hand bis ich ……. ja bis ich mit dem nackten Knie an den niedrigen Maschendraht kam, der sich am Jägerzaun befand, um entweder die Hühner vorm Ausbruch oder den Fuchs vorm Einbruch zu bewahren. Mit einem Schlag war die perfekte Erdung erzielt und wir beide bekamen fürchterlich eine gefegt. Der Schreck war vermutlich das Schlimmste an der ganzen Angelegenheit und auch wenn die Sache mit den nackten Knien logisch und nachvollziehbar war: mein Bedarf an brüderlichen Rat-Strom-Schlägen ist bis heute gedeckt.

Lediglich ein selbstverschuldeter Schlag war dann später noch unangenehmer. Um meine volle kindliche Blase ohne Umwege und Zeitverlust zu leeren, pinkelte ich am Rande des Jägerzauns und traf mit dem Strählchen auf Strom. Brrrrrrrrrr. So was passiert Dir nur einmal. Hoffe ich!

Natürlich war ich für meine Brüder lästig. Bestimmt nicht immer, aber….. Besonders dann, wenn sie mich auf ihre Expeditionen mitnehmen mussten. Mit dabei war gelegentlich Männi, ein Klassenkamerad des großen Bruders, ein großer stämmiger Kerl.

Wieso sich diese im Folgenden geschilderte völlig harmlose Episode so in meiner Erinnerung festgesetzt hat, weiß ich nicht. Wir stromerten durch einen Urwald mit mannshohem Farn. So meine Erinnerung. Es war zweifellos weder ein Urwald, noch wird der Farn mannshoch gewesen sein. Ich war halt noch sehr klein und die Welt da draußen sehr groß. Wir tranken Ahoj-Brause aus Tütchen. Ja, die gab es schon seit Anfang der 30er Jahre und es gibt sie immer noch. In den vier klassischen Geschmacksrichtungen Waldmeister, Himbeere, Orange und Zitrone prickelt das Pulver seit Generationen. War Waldmeister auch Euer Favorit?

In unserem Farnversteck sollte also Brause getrunken werden. Die galt es zu organisieren und ich war stolz, für diese ebenso ehren- wie verantwortungsvolle Aufgabe einstimmig nominiert zu werden. Ein Tütchen Brause kostete damals 5 Pfennige. Sie wurden im Lebensmittelladen des Dorfes nicht in Zehnereinheiten sondern einzeln feilgeboten. Deshalb erheiterte das Vorhaben, mich mit 4 DM auszustatten (natürlich von jedem eine Mark) und 80 Tütchen Brause zu kaufen uns über die Maßen. Ich radelte also vom Wald die 3 Kilometer ins Dorf und betrat zielsicher den Laden. Wie ungeheuerlich in den Sechziger Jahren die Vorstellung dort war, dass so ein Knirps 80 Tütchen Brause kaufen möchte, äußerte sich darin, dass die Inhaberin versuchte, unsere Mutter telefonisch zu erreichen um sich nach der Ordnungsmäßigkeit meines Kaufwunsches zu erkundigen. Ob sie unsere Mutter erreicht hat oder nicht weiß ich nicht mehr. Jedenfalls bekam ich die 80 Tütchen Brausepulver und wie immer war der Waldmeisteranteil völlig unterrepräsentiert. Ich vermute nach wie vor, dass die Grundsubstanz teurer ist. Stolz erreichte ich mit meiner Beute das Versteck und übergab sie den Großen, die meine Leistung mit Selbstverständlichkeit quittierten. Das war nicht wirklich nett. Aber so waren sie.

Alles andere als harmlos endete eine andere Aktion in derselben Besetzung, die alle noch gut in Erinnerung haben. In unmittelbarer Nähe zur besagten Müllkippe befand sich ein Tümpel von ungefähr 30 Quadratmetern. Wir vermuteten die Ursache in einem Bombentrichter, was dem kriegerischen Umfeld auch entsprach. In der Mitte des Tümpels dümpelten alte Feuerwehrschläuche vor sich her, die viel zu schade waren, um nicht geborgen und alternativer Nutzung zugeführt zu werden. Nur kamen wir weder mit den Händen noch mit Stöcken daran. Der Tümpel war zu groß, die ersehnte Beute unerreichbar. Wir machten das, was man heute Brainstorming nennen würden. Nämlich einen ausgeklügelten Plan. Irgendjemand hatte einen ausrangierten Einkochkessel gefunden, der den Tümpel schiffbar machen würde. Ich fand den Plan mehr als fragwürdig, sollte ich doch die Besatzung verkörpern.

Meinen Bedenken, der Kessel würde früher oder später absaufen, wurde mit einem ebenfalls gefundenen Seil begegnet, das zur Absicherung an den Griff gebunden wurde. Ich wurde also in den so gesicherten Kessel verfrachtet und der Stapellauf wurde inszeniert. Für den Kessel und seine Besatzung war es die Jungfernfahrt. Ich schipperte bangen Herzens zu den Schläuchen, was erstaunlicherweise ganz gut ging bis ich mich aus dem Kessel bewegte, um die Schläuche zu greifen. Damit leitete ich die Havarie ein. Der Kessel geriet an einer Stelle unter Wasser und soff augenblicklich ab. Panik ergriff mich, zumal ich zu dieser Zeit alles andere als ein firmer Schwimmer war. Irgendwie gelang es den anderen, mich ans rettende Ufer zu ziehen. Zwar völlig durchnässt und mit einem gehörigen Schrecken im Leib, aber ansonsten körperlich unversehrt.

Der Weg nach Hause erfolgte im Dauerlauf, alleine schon wegen der aufsteigenden Kälte in den nassen Klamotten. Zum Glück war Mutter nicht da und ich erlag der Illusion, das Malheur vertuschen zu können. Im Badezimmer gab es einen kleinen dunkelgrünen Heizlüfter aus Metall. Die Erinnerung an seine wohlig riechende Wärme, die er mit leichtem Brummen verströmte, schickt mir noch heute wohlige Schauer über den Rücken. Dieses in der Familie „Öfchen“ genannte kostbare Stück war ein Symbol für meine kindliche Geborgenheit.

Die durchnässten, wirklich übel riechenden Kleidungsstücke drapierte ich zum Trocknen vor das Öfchen, das sich natürlich schwer tat, in der verbleibenden Zeit bis zum Eintreffen der Mutter die Sachen zu trocknen. Unsere Mutter betrat das Badezimmer, erfasste die Situation mit einem Blick, steckte die Kleider in die Waschmaschine und mich in die Badewanne. Für beide sicher das Beste. Irgendwie haben wir das dann auch zu Hause erklärt, vermutlich war unsere Mutter einfach nur froh, dass wir alle wieder mehr oder weniger wohlbehalten zu Hause waren. Sie fragte jedenfalls nicht weiter.

Hier hätte die Geschichte eigentlich enden können und sollen, wenn mein Bruder mir nicht vor kurzem die ganze Brisanz der Aktion mit der Aussage verdeutlicht hätte, dass sie mich im Fall der Fälle hätten absaufen lassen. Ein Glück für alle Beteiligten, dass es anders gekommen ist, denn mit dieser Schuld zu leben wäre vermutlich ähnlich desaströs für das weitere Leben gewesen wie mein Ableben im Tümpel es gewesen wäre. Immer noch fällt es mir schwer, dieser Aussage Gauben zu schenken, wenngleich ich eingestehen muss, dass sie mich ziemlich verstört hat.

Und die Moral von den Geschichten? Blut ist eindeutig dicker als Wasser. Das spüren wir immer intensiver. Aber richtig ist auch, dass Brüder doppelt so Scheiße sein können, wie einer von ihnen. Andererseits: Wenn Brüder Freunde sind, kann es etwas Dickeres nicht geben. Nu wees de ett!

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