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»Dieses gottverdammte dreckige Schwein!«, schluchzte Anna und wiederholte es immer und immer wieder. Dann erzählte sie, anfangs nur in Brocken, später einigermaßen flüssig, die Ereignisse des Abends und der Nacht.
Wenn Mülenberk alles verstanden und Fehlendes richtig ergänzt hatte, hatte ein gut aussehender, braungebrannter Mann mit holländischem Akzent am späten Abend, als die Stammgäste sich auf den Heimweg machten, die Gaststätte betreten. Er bestellte zu essen und zu trinken und schäkerte mit Anna, die den Fremden auf Anhieb sympathisch fand. Bereitwillig ließ sie sich von ihm zu dem roten Sekt von der Ahr einladen, den sie so mochte. Nachdem, schon weit nach Mitternacht, auf dem Bierdeckel keine freien Stellen mehr zu finden waren, äußerte der Fremde den Wunsch nach einem Zimmer.
Anna gab ihm einen Zimmerschlüssel, zeigte ihm den Weg, räumte noch auf und ging dann ebenfalls zu Bett. Sie hatte es als sehr angenehm empfunden, dass der Fremde keinerlei Anstalten gemacht hatte, sie über den Flirt hinaus anzumachen, was sie bei den Stammgästen regelmäßig nervte, wenngleich sie wusste, dass ihre Eifler Gäste ab einem gewissen Alkoholpegel nicht nach Hause gehen konnten, ohne wenigstens versucht zu haben, ob nicht doch ein bisschen was ginge. Es erinnerte sie an den Klammerreflex der Froschlurche während der Paarungszeit, bei dem die Männchen ungestüm jeden passend erscheinenden Gegenstand zu umgreifen versuchen, selbst Treibholz oder tote Fische.
Wie der Fremde schließlich in Annas Zimmer gekommen war, konnte Mülenberk nicht herausfinden. Vielleicht hatte Anna eine durch Alkohol oder Schock ausgelöste Erinnerungslücke. Jedenfalls hatte er plötzlich vor ihr gestanden, sie süffisant angelächelt und ihr zugeflüstert: »Jetzt machen wir beide uns eine schöne Nacht, meine kleine Anna!«
Seine Mimik und seine Körpersprache hatten ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass Widerstand ihr nicht gut bekommen würde. Während sie gegen die Lähmung ihres Verstandes ankämpfte und überlegte, was zu tun sei, hatte der Fremde, nach dessen Namen sie unverständlicherweise nie gefragt hatte, sie mit der linken Hand an den Haaren gefasst und ihr den Kopf ins Genick gezogen. Als sie den Mund öffnete, um zu schreien, hatte er ihr lächelnd zweimal aus einer kleinen Sprayflasche in den Mund gesprüht.
Annas Verstand gab das Signal zur Flucht und zur Abwehr, so wie sie es in den beiden Selbstverteidigungskursen gelernt hatte, die sie besucht hatte, nachdem einige Gäste etwas zu aufdringlich geworden waren. Doch ihr Körper folgte seltsamerweise nicht. Wärme breitete sich in ihr aus, und während sie noch dachte, dass das Spray über die Mundschleimhäute ganz besonders schnell seinen Weg in ihr Nervensystem gefunden hatte, öffnete sie ihren Mund und küsste den Fremden leidenschaftlich und hemmungs- los. Sie war nicht nur von Sinnen, sondern genoss es fast, dass seine Hände mit geübten Griffen ihre Kleidung abstreiften und sich wie selbstverständlich an ihr bedienten. Während sie – ohne nachzudenken und ohne zu zögern – alles tat, was der Fremde ihr ins Ohr flüsterte, nahm sie die Rolle einer Sklavin an, die absoluten Gehorsam leistete. Je hemmungsloser und gehorsamer sie wurde, desto mehr Lust empfand sie.
Erst als der Fremde, anscheinend selber wie von Sinnen, die Hände um ihren Hals legte und ihr dabei ins Ohr flüsterte: »Ich will dich sterben sehen!«, erwachte Widerstand in ihr. Er fühlte sich wie ein erweckendes Tauchbad nach einem viel zu langen Saunagang an. Sie wollte dem Fremden mit aller Kraft zwischen die Beine treten und merkte aber voller Entsetzen, dass ihre Füße ans Bettende gefesselt waren.
Jost Springenguth, Journalist und Autor war Chefredakteur in deutschen Tageszeitungen und Mitglied der Jury für die Vergabe des Theodor-Wolff-Preises, des Journalistenpreises der deutschen Tageszeitungen. Er ist Referent am Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses.
„Abschuss“ ist ein Volltreffer unter den Regionalromanen und reiht sich in die Eifelkrimis ein, die für dieses ortsgebundene Genre in der jüngeren Krimiliteratur stehen. Der Autor Rolf Eversheim entführt den Leser in die wenig transparenten Alltagsnischen der Jagd und der Burschenschaften mit ihren Gefühlswelten, die er aus seiner Biografie genau kennt und phantasievoll ausmalt. Der Aussteiger, Jäger und Burschenschaftler Roman Mülenberk gerät in ein Geflecht von Abgründen, wo Drogen, Prostitution, organisierte Kriminalität ihre Schauplätze ausgerechnet in der beschaulichen Welt der Weinbau- und Touristendörfer im Rhein-Ahr- Ausläufer der Eifel finden. Das mag vielleicht nicht jedem Jäger und jedem Corpsbruder passen, zu welchen Handlungen Romanfiguren fähig sein können; aber: sie handeln schließlich unter dem Druck ihrer menschlichen Verwicklungen, die alltagsgerecht sind und jeder kennt. Ein gut und geschriebener und spannend aufgebauter Kriminalroman, der in mancher Hinsicht einfach andersartig und damit lesenswert ist.
sehr schön und spannend. Inniger kann man seine Beziehung zu seinem Tier nicht beschreiben. [...]
01.04.2023