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Gefährliche Spielplätze

26.09.2018

Wir wuchsen ohne Internet auf. Das ging tatsächlich ganz gut. Vermutlich auch deshalb, weil wir es gar nicht anders kannten. Mein www war der weite wilde wald. Da warteten immer spannende Abenteuer und jeden Tag gab es Neues zu erkunden. Meistens war ich alleine, einfach, weil kein Freund verfügbar war. Die Klassenkameraden lebten auf Bauernhöfen, die ebenso wie das Forsthaus außerhalb des Ortes gelegen waren. In den Jahren 1911-1915 wurde nordöstlich des Dorfkerns an der Straße nach Vossenack das Venn zur Einrichtung einer Provinzialdomäne gerodet, die bis zum Beginn der 30er Jahre von Inspekteuren bewirtschaftet wurde. Danach erfolgte eine Aufteilung auf fünf Einzelhofstellen (Quelle: Geschichtsverein des Monschauer Landes). Auf den Höfen gab es genug Arbeit für alle und das Spielen stand nicht im Vordergrund pädagogischer und betrieblicher Überlegungen. Der Großvater zweier Nachbarskinder, August Z., wurde nicht müde zu betonen: „Die Kinder müssen laufen, laufen!“. Er selbst holte seine Enkel oft mit dem Traktor von der Grundschule ab, wobei regelmäßig ein Paradigmenwechsel stattfand. Sein Motto lautete dann: „ Besser schlecht gefahren, als gut gelaufen!“. Dabei grinste er mich freundlich an und half mir auf den Traktor. Guter Mann.

So war ich notgedrungen viel alleine unterwegs. Ich hatte niemals das Gefühl, dass meine Eltern sich ernsthafte Sorgen gemacht haben. Ich verschwand – und kam wieder zurück. Mit dem Herzen voller Erfahrungen. Manchmal Angst machender, manchmal beglückender. Und die Hosentaschen voller Andenken jeglicher Art. Es sammelte sich schon ein kleines Lager kindlicher Erinnerungsstücke an, wenn meine Mutter vor dem Waschen die Taschen leerte. Ich schätze, ich war zu dieser Zeit Stein-reich. An einen Stein erinnere ich mich besonders. Aus ihm heraus ragte ein kleines goldenes Viereck. Gold! Ich war wie elektrisiert. Tagelang male ich mir die Folgen dieses sensationellen Fundes in den schillerndsten Farben aus. Bis ich dann meinen Chemielehrer befragte. Ihr ahnt es und ich kann es kurz machen: Es handelte sich um Katzengold, auch Narrengold genannt, einem sehr häufig vorkommenden sogenannten Pyrit, der sich aus einem Teil Eisen und zwei Teilen Schwefel zusammensetzt. Wertloses Zeug mit 5 Buchstaben. Es war trotzdem eine schöne Erfahrung, mich ein paar Tage meinem geahnten Reichtum hingeben zu dürfen.

Es gab für mich als Kind 4 Zonen, die magische Attraktivität besaßen.

Das verlassene Bienenhaus direkt am Waldrand.

Die Mülldeponie von Lammersdorf.

Der Westwall, bzw. das, was davon noch übrig geblieben war.

Grundsätzlich alles, was verboten war.

Das Bienenhaus war ein interessanter und sicherer Spielplatz, nicht weit vom Forsthaus weg. Ich konnte alles erkunden, was der Imker zurückgelassen hatte. Es gab ein Dach über dem Kopf und reichlich Baumaterial. Im Bienenhaus gab es immer was zu tun. Von diesem Basislager aus starteten viele meiner Expeditionen.

Zum Beispiel zur Mülldeponie. Die war bei weitem nicht so sicher. Was ich da alles eingeatmet habe, will ich lieber nicht wissen. Die Deponie kokelte ständig vor sich hin und bei ungünstiger Wetterlage hüllten die Dämpfe auch das Forsthaus ein. Alle möglichen dort deponierten Kunststoffe der in Lammersdorf ansässigen Firma Junker wurden hier entsorgt. Besser kannte man es damals nicht, wie es das zutreffende Wort „Müllkippe“ (kurz „de Kipp“) schon ausdrückte. Der Anschluss an die Vennbahn im Jahr 1885 war ein entscheidender Grund für die Ansiedlung der Junker-Werke (1924). Dieses Unternehmen hat sich zu einem weltweit führenden Hersteller im Bau von Industrieschmelzöfen entwickelt, dem mehrere Tochterunternehmen angehören. Im Gefolge des Industriebetriebes entstanden bereits zwischen 1936 und 1966 die drei Wohnsiedlungen Junkersiedlung, Waldsiedlung und Kämpchen. Was Junker entsorgte musste natürlich auf Wiederverwertbarkeit untersucht werden. Was mir sehr erleichtert wurde, da das Deponiegelände nicht eingefriedet war. Der später errichtete Zaun war allerdings auch nur ein eher symbolisches Hindernis. Ich erinnere mich an Unmengen hellbrauner Kunststoffreste in allen Größen und Formen. Das meiste war selbst für mich ohne Wert, aber alleine die Schatzsuche zwischen Industrieabfall und Hausmüll war ein aufregend schmutziges Unterfangen, das meinem Immunsystem viel abverlangt haben dürfte.

Am meisten verlangte mir allerdings der Westwall ab. Die 630 km lange Verteidigungslinie sollte Deutschland in der NS-Zeit vor militärischen Angriffen aus dem Westen schützen. Mit ihren über 18.000 Bunkern, Stollen, zahllosen Gräben und Panzersperren wurde sie als größtes Befestigungswerk aller Zeiten gepriesen. Für die Kämpfe am Ende des Zweiten Weltkrieges hatte der Westwall in Deutschland allerdings keine große Bedeutung mehr. In Lammersdorf jedoch lieferten sich amerikanische und deutsche Truppen ab September 1944 noch monatelange, erbitterte Gefechte, die hunderte Soldaten das Leben kosteten. In der Nachkriegszeit wurden viele der Westwallanlagen durch Sprengungen geschleift. Bei diesen Arbeiten sowie bei der Beseitigung der vielen Mienen verloren nochmals Menschen ihr Leben.

Wenn ich durch die Panzersperren streifte oder in die Höhlen gesprengter Bunkeranlagen kroch, waren für mich Krieg und Tod immer spürbar. Ich war ständig darauf vorbereitet, sterbliche Überreste von Soldaten zu finden, blieb aber zum Glück (wie ich es im Nachhinein sehe) davon verschont. Beim Herumstrolchen war ich immer auf der Suche nach Sensationen, die es damals noch zuhauf gab. Das Gelände war damals sicher schon geräumt, aber ich fand immer etwas. Stahlhelme, Gürtel, Ledertaschen, verrostete Handfeuerwaffen. Und Munition in Mengen, die ich in Eimern nach Hause trug. Bei der Verwertung kamen meine Brüder mir gerne zu Hilfe. Wir spannten die Patronen in den Schraubstock und zogen mit einer Zange die Projektile ab. Das Pulver sammelten wir. Als wir meinten für unsere Zwecke ausreichend davon gesammelt zu haben, schütteten wir einen kleinen „Scheiterhaufen“ des Schießpulvers auf den Hauklotz, den wir kurzerhand zweckentfremdeten. Mich stellte man vorsichtshalber ein Stück weiter in vermeintliche Sicherheit, als meine Brüder das Pulver anzündeten. Es gab eine gewaltige Flamme, die zur Decke hochschoss. Ich habe nie mehr wieder in einem geschlossenen Raum eine solche Flamme gesehen. Zum Glück hatte der Schuppen eine gegossene Betondecke. Allen Schutzengeln sei dank, dass wir keinen körperlichen Schaden nahmen. Sollten die späteren Bewohner des Forsthauses sich gefragt haben, wie der riesengroße schwarze Fleck an der Schuppendecke zustande gekommen ist: Nu weest de ett.

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