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16.10.2018
Hormone sind in der Eifel genau so an der Arbeit wie in der Welt, die sich um die Eifel herumgruppiert hat. Allerdings scheint es, als gälten hier ganz eigene Spiel- oder besser gesagt Verkehrsregeln. Zumeist geprägt von der Sexuallehre der katholischen Kirche oder der Askese, dem sittlichem Ernst und der strengen Kirchenzucht des protestantischen Lebensstils.
Allerdings gibt es in der Eifel Landstriche, besonders Richtung Köln, wo eher „rheinisch-katholisch“ gelebt wird. „Rheinisch-katholisch“ ist die Steigerungsform von „römisch-katholisch“ – gleichsam Avantgarde und mitten im Leben. Der rheinische Katholik ist eigenständig im Denken und vor allem kompromissbereit in den „vorletzten Dingen“. Damit sind die Themen gemeint, die nicht direkt mit Himmel und Hölle zu tun haben – also eigentlich fast alle.
Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Thessaloniki, Kapitel 5, V. 21: „Prüft alles, und das Gute behaltet.“ Die klugen Eifeler haben seit Beginn des Buchdrucks um 1440 durch Johannes Gutenberg diesen Aufruf für sich entdeckt. Wussten Sie eigentlich, dass der eigentliche Namen Gutenbergs Henne Gensfleisch zum Gutenberg lautete? So hätte ich auch nicht in die Geschichte eingehen wollen, schon gar nicht als Mann des Jahrtausends.
Doch zurück zum Eifeler. Sie kennen sicher die Geschichte vom Rabbi, der sich darüber ärgert, dass viele der Gläubigen ohne Kippa in die Synagoge kommen. Ob es die Synagoge in Niederzissen oder in Ahrweiler war, ist nicht präzise überliefert. Auf jeden Fall schrieb der Rabbi an den Eingang: „Das Betreten der Synagoge ohne Kopfbedeckung ist ein dem Ehebruch vergleichbares Vergehen.“ Am nächsten Tag stand darunter: „Beides probiert. Kein Vergleich!“
So prüft der Eifeler die „vorletzten Dinge“ – ob dies so im Sinne des Apostels Paulus ist, darf bezweifelt werden. Wenn ich auf das kleine Eifeldorf meiner Tante schaue und mir in Erinnerung rufe, was dort alles erzählt wurde, muss ich den Eindruck gewinnen, dass Ehepaare immer wieder mal gerne geprüft haben, ob sich nicht noch was besseres findet. Friedrich Schiller hat ja schon beschrieben, welche Gefahren eine Ehe mit sich bringen kann. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet, der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.“ Bis der Tod scheidet, will der Eifeler lieber nicht abwarten. Dafür ist ihm das Leben zu kostbar. Und es bekommt ja auch keiner mit, wenn er mal unter dem Zaun grast. Meint er. Und sie meint es natürlich auch.
Doch die Eifel hat mehr Augen als eine Taube. Jäger sagen von den Tauben, dass sie auf jeder Feder ein Auge haben. Sie sind zwar nicht so groß wie die bekanntesten Augen der Eifel – die Dauner Maare. Aber sie bekommen trotzdem wirklich alles mit. Sie gehören neugierigen, listigen Nachbarn, Kollegen oder Thekenfreunden, die immer auf der Lauer liegen. Oder absichtslos in ein nicht für sie gedachtes Geschehen hineinstolpern. Der Eifeler ess emmer am luure onn am lustere. Und nur das, was ihn selber und seine Familie betrifft, behält er für sich. Da kann er sehr schweigsam sein. Selbst die größte Klatschtante wird keine Silbe über sich oder ihre Familie verlieren – usser öm de Stronz ze haale!
Legendär ist in unserer Familie das Zitat beim früher üblichen persönlichen Überbringen der Todesnachricht eines Familienmitglieds in der Nachbarschaft: „Sooht ett keenem. Vaader es duet.“
Nach wie vor verblüffen mich zwei Geschichten aus Tantes Kneipe. Zur Kirmes oder sonstigen hochoffiziellen Anlässen brachten die Stammgäste dann „de Möhn“ mett, wie sie ihre Frauen am Stammtisch betitelten, wobei sie sich hüteten, in deren Anwesenheit den wenig galanten Begriff zu verwenden. De Möhn war rausgeputzt und mit Schmuck behangen. Und sie sprach hochdeutsch mit Knubbeln. Während besagter Mann –Gott hat ihn lange selig- daherkam wie ein „gemästeter Hahn“. Damit hatte die Tante alles zum Ausdruck gebracht, was sie beim Anblick des guten Freundes dachte, der alle anderen Tage im Jahr in Arbeitskleidung sein Feierabend-Bier trinken kam. Die Kneipe füllte sich und der Jagdpächter fand am Tisch von Hahn und Möhn noch einen Platz. Um die stockende Konversation in Gang zu bringen machte er den Fehler, ein Kompliment platzieren zu wollen und sprach zum Hahn gewandt: „Sie haben eine sehr nette Frau!“ Und prompt bekam er im Brustton der Überzeugung die Antwort: „Ich wollt, Du hätt se!“ Der Jäger zog es daraufhin vor, sich zügig in den Wald zu verdrücken getreu dem Motto „Besser im Wald bei einer wilden Sau, als zu Hause bei einer bösen Frau.“
Die andere Geschichte erlaubte sich Maanes, der sich mit Freunden an den Wocheneden im Wald am Holz zu schaffen machte. Er hatte einen kräftigen roten Bart, mit dem er sein vernarbtes Gesicht verdeckte. Was war ihm widerfahren? Wie früher nicht unüblich, kontrollierte er im Winter den Füllstand des Diesels im Trecker mit einem Streichholz, was ich nicht empfehlen kann, was jedoch wegen der schwere des Treibstoffs und der dadurch ausbleibenden brennbaren Gase ungefährlich zu sein schien. Nach einer etwas ausgiebigeren Kneip-Kur verweigerte sein Wagen, den er sowieso nicht mehr hätte steuern dürfen, den Dienst. In seiner Verwirrtheit wollte er mit der erprobten Methode schauen, ob überhaupt noch ausreichend Sprit vorhanden war. Ein fataler Fehler, denn die Bezingase, die aus dem Autotank aufstiegen, fingen unverzüglich Feuer, was zu einer unschönen Explosion und noch unschöneren Narben führte. Dieser Maanes war ein wilder Bursche, dem das Heimgehen schwer fiel. Das Fest seiner silbernen Hochzeit begingen er und seine Frau groß im Kreis von Familie und Freunden. Als der letzte Gast den Heimweg angetreten hatte, sprach er zu seiner völlig ahnungslosen Frau: „So, das wars!“ und erklärte damit nach 25 Jahren die Ehe für beendet. Da wusste sie es!
Auch einen (bereits verstorbenen) Kommissar erwischte es derb. Nennen wir ihn K. Wenn uns etwas verband dann der Umstand, dass er auch aus einem Forsthaus in der Eifel stammte. K. machte seinen Weg und war Kriminalhauptkommissar in Simmerath. Aus Gründen, die uns nichts angehen, hatte er eine Beziehung zu einer ebenfalls verheirateten Dame, was nicht weiter erwähnenswert wäre, wenn …… ja wenn der gehörnte Ehemann nicht mit kriminalistischem Spürsinn und den Augen der Eifel den beiden auf die Schliche gekommen wäre. Er war ihnen auf ihrem Weg zu einem gemeinsamen sommerlichen Badevergnügen an einer abgelegenen Stelle des Rursees unauffällig gefolgt.
Während sie sich im Wasser womit auch immer labten, entwendete er sämtliche Kleidungsstücke des Kommissars. Dann ließ er die beiden wissen, dass sie in flagranti (Redensart aus dem Lateinischen, eigentlich: in (crimine) flagranti „solange das Verbrechen noch brennt“) erwischt worden waren. Was für einen Kommissar schon doppelt bescheuert gewesen sein muss. Um dem Ganzen die Krönung aufzusetzen, machte sich der Ehemann auf seinem Rachefeldzug mit seiner Frau davon und überließ K. im Adamskostüm der Natur und seinem Schicksal. Und das war hart. Vermutlich das Einzige, was noch hart geblieben war. K. blieb nichts anderes übrig, als zum nächsten Haus zu laufen, was so nahe am Rursee ja nicht gewesen sein kann, um dort um Hilfe aus seiner hochnotpeinlichen Lage zu bitten. Kein Lauffeuer kann so schnell sein, wie sich die Nachricht an den Stammtischen der Eifel verbreitete. So wurde von einem Tag auf den anderen aus dem hoch angesehenen Kriminalhauptkommissar im Volksmund „der nackte Kommissar“. Wie drückte Schiller es gleich aus? Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang! Nu wees de ett!
sehr schön und spannend. Inniger kann man seine Beziehung zu seinem Tier nicht beschreiben. [...]
01.04.2023